Wer keine Lehrstelle findet, kann eine Ausbildung bei „überbetrieblichen Lehrwerkstätten“ beginnen. Die BefürworterInnen dieser Einrichtungen verweisen auf die Chancen, die so für Jugendliche entstehen, die sonst schlechte Zukunftsaussichten hätten. Doch die Sache hat so manchen gewaltigen Haken – und die wahren Profiteure sind wieder einmal nicht die Lehrlinge selbst, sondern die Betriebe.

Das klischeehafte Bild vom sorgsamen Lehrherrn, der junge Menschen gewissenhaft ausbildet und später im Betrieb übernimmt, ist keineswegs der Regelfall. Rund 133.000 Lehrlinge gibt es derzeit in Österreich – 1980 waren es fast 200.000. Nur jeder neunte Betrieb bildet noch Lehrlinge aus. Das liegt nur zu einem kleinen Teil daran, dass gewisse Berufsgruppen quasi wegfallen. Wesentlich ist vielmehr der Trend, dass sich viele Betriebe ihren „Nachwuchs“ bequem vom Staat ausbilden lassen. Auch wenn sich die Anforderungen an den Beruf nicht wesentlich verändert haben, greift man oft auf AbsolventInnen von HAS, HAK, HTL oder Fachhochschulen zurück. Die Folge ist, dass österreichweit auf eine offene Lehrstelle zwei Lehrstellensuchende kommen – in manchen Gebieten wie etwa in Wien sind es bis zu fünfmal mehr Suchende, als es tatsächlich Angebot gibt.

Gescheiterte „Förderung“

Als „Rezept“ gegen den Lehrstellenschwund haben SPÖ, ÖVP und in ihrer Regierungszeit vor allem die FPÖ schon vor Jahren Geldgeschenke entdeckt – natürlich an den Betrieb. Die Überlegung: Wenn das Unternehmen für jeden Lehrling einen Betrag von bis zu mehreren tausend Euro pro Jahr[1] erhält, sollte es auch bald wieder mehr Stellen geben. Freilich: eingetreten ist das nicht. Jene Betriebe, die ohnehin Lehrlinge aufnehmen wollten, freuten sich über leicht verdientes Geld – die meisten rationalisierten aber munter weiter, verlagerten die Produktion ins Ausland oder holten sich die Fach- und Hilfskräfte von dort – die EU macht‘s möglich.

Irgendwann kam aber auch die Politik darauf, dass es so nicht wirklich funktioniert. Die Arbeitslosenquote der 15- bis 25-jährigen stieg zuletzt 2005 und 2009 auf über 10 Prozent, was deutlich über dem Schnitt aller Altersgruppen liegt. Das 1998 beschlossene „Jugendausbildungssicherungsgesetz (JASG)“ soll sicherstellen, dass jene, die keine Lehrstelle bei Betrieben finden, einen Ausbildungsplatz über das AMS bekommen. Seither wurde diese „Ausbildungsgarantie“ mehrmals als neue Maßnahme verkauft. Insgesamt ist die überbetriebliche Ausbildung in den letzten Jahren stark gestiegen. Im Vorjahr waren bereits 9.488 Lehrlinge in solchen Lehrwerkstätten beschäftigt. Den größten Anteil hatten dabei die Bundesländer Steiermark (3.829) und Wien (3.508).

Ziel in der überbetrieblichen Ausbildung soll es sein, in ein reguläres Lehrverhältnis zu treten – wer eine „zumutbare“ Lehrstelle ablehnt, verliert auch das Recht auf eine überbetriebliche Ausbildung. Die Regel ist freilich, dass man in der Lehrwerkstätte bleibt – „Übertrittszahlen“ in eine gewöhnliche Lehre von 10 Prozent pro Jahrgang sind schon viel. Austritte bzw. Ausschlüsse sind da wesentlich häufiger.

Obwohl man meinen könnte, dass bei einer durch das AMS gestalteten Ausbildung viele negative Aspekte der regulären Lehre wegfallen (ausbeuten statt ausbilden, unbezahlte Überstunden, Diskriminierung und Mobbing…), sind auch die überbetrieblichen Lehrwerkstätten keine „Musterbetriebe“. Vor allem bei technischen Lehrberufen wie KfZ-TechnikerIn ist das Arbeitsmaterial oft völlig veraltet; dazu kommen oft eintönige Arbeiten, weil die AusbildnerInnen mit den großen Gruppen überfordert sind. Von der tatsächlichen beruflichen Praxis sind die Ausbildungsangebote oft weit entfernt. Dabei werden entgegen der Versprechungen, jeder würde einen Platz in einer Lehrwerkstätte erhalten, nicht alle aufgenommen: In „Berufsorientierungs- und Coachingmaßnahmen“ wird bereits vorab ausgesiebt. Und ein Drittel der Lehrlinge lernt in den Lehrwerkstätten einen anderen als den Wunschberuf.

Mittlerweile richten sich viele Träger überbetrieblicher Lehrwerkstätten (etwa „Jugend am Werk“) direkt an Unternehmen, doch einen Teil ihrer Lehrausbildung in diese auszulagern. Neben der direkten Fertigung (die eher die Ausnahme darstellt) ist dies ein weiterer Anreiz für die Betriebe, Lehrlinge nicht mehr selbst ordentlich auszubilden.

Probleme fortgesetzt

Die Schwächen des Regelschulsystems schlagen sich auch auf die überbetrieblichen Lehrwerkstätten voll durch: Probleme mit der Sprache (sowohl mündlich als auch geschrieben) sowie mit Mathematik wirken sich verständlicherweise erst recht negativ bei der Erlernung von Fähigkeiten aus, die einer Fachsprache bedürfen. Da ein Großteil der Lehrlinge aus einkommensschwachen Familien kommt, reichen die 240 Euro Entschädigung im Monat[2] bei weitem nicht aus. Dazu kommen dann Geldabzüge für Zuspätkommen. Dabei unterscheidet sich die Arbeit oft nicht von der in größeren Betrieben – aber während die Regierung für diese „Lehrlingsförderung“ im Millionenbereich ausgibt, schauen die Lehrlinge selbst durch die Finger.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass staatliche Lehrwerkstätten zwar eine Alternative zu völliger Ausbildungslosigkeit vieler Jugendlicher bieten, aber auch einen bequemen Anlass für Unternehmen darstellen, die Lehre „auszulagern“. Probleme werden so jedenfalls keine gelöst. Und dass die mindesten Standards wie Höhe der Lehrlingsentschädigung, Recht auf Jugendvertrauensrat und der Schutz vor Geldstrafen auch hier greifen sollten, wäre eigentlich eine Selbstverständlichkeit – aber das würde ja Geld kosten, das die Regierung der Herrschenden lieber für Bankenrettungspakete und Lehrherrenförderung ausgibt.


[1] Eine Berechnung des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft summiert die maximale Fördersumme ohne regionale Programme, Mädchenförderung etc. pro Lehrstelle auf 2.632 Euro/Jahr. Siehe: Birgit Lenger (ibw), Roland Löffler (öibf), Helmut Dornmayr (ibw): Jugendliche in der überbetrieblichen Berufsausbildung, Wien 2010

[2] Natürlich kein Weihnachts- und Urlaubsgeld; Steigerung erst ab dem 3. Lehrjahr. Das ist deutlich weniger als die reguläre Mindestlehrlingsentschädigung in den jeweiligen Berufen.