charlie hebdoEin Kommentar zum Anschlag auf Charlie Hebdo

Was gestern in Paris in den Räumlichkeiten der Satirezeitschrift Charlie Hebdo passiert ist, ist eine Tragödie, eine abscheuliche Tat. Zwölf Menschen wurde das Leben genommen. Darüber kann es keine Diskussion geben. Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieses Anschlags. Worüber allerdings gesprochen werden sollte:

Antimuslimischer Rassismus auf dem Vormarsch

Es ist davon auszugehen, dass das Attentat dem ohnehin grassierenden antimuslimischen Rassismus in Europa zu neuen Höhen verhelfen wird. Die Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe von der Vorsitzenden des rechtsextremen Front National, Marie Le Pen, stellt wohl nur eine kleine Vorschau auf Kommendes dar. Die nun von der Rechten aber auch der vermeintlichen Mitte eingebrachten Forderungen nutzen den sinnlosen Tod von zwölf Menschen für ihre eigene Agenda. In ihrer Ideologie der Ungleichheit sind sie den Jihadisten näher als den imaginierten „europäischen Werten“.

Die Gleichsetzung von religiös verbrämten Anschlägen mit einer gesamten Glaubensgemeinschaft passiert faktisch, Stellungnahmen von offiziellen islamischen Stellen in Europa spielen in der Debatte keine Rolle. Als Relation kann angeführt werden, dass der Ku-Klux-Klan ja ebenso wenig als stellvertretend für alle Menschen christlichen Glauben heran gezogen werden kann. Wir haben es als AtheistInnen nicht so sehr mit der Religion, was hier allerdings passiert, hat mit Religionskritik rein gar nichts zu tun, jedoch viel mit Rassismus. Dieser Rassismus greift aber weiter als „nur“ gegen Menschen muslimischen Glaubens. Er betrifft alle Menschen, die so wahrgenommen werden, als ob sie von „da unten kommen“ würden.

Repression nach innen, Krieg nach außen

Der voranschreitenden gesetzlichen und politischen Repression im EU-Krisenregime wurde ein großer Gefallen getan und die rechten Hetzer bedienen sich einem verlogenen Gelaber von Betroffenheit, um ihre politische Agenda noch weiter in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Der Blick in die USA zeigt, dass der „war on terror“ nach außen zu Krieg und Verwüstung, nach innen zu polizeistaatlicher Repression und Rassismus führt. Dies sind die Entwicklungen, die in Europa zu erwarten sind und sie passen sehr gut in die Krisen“lösungs“strategien von IWF, EZB und EU-Kommission.

Terror als kapitalistischer Normalzustand

Die überwiegende Mehrzahl der Opfer des sogenannten islamistischen Terrorismus sind selbst Muslime. Und zwar in jenen Ländern, die von der „westlichen Wertegemeinschaft“ mit Krieg, Hunger und Tod überzogen werden. Sie sind unmittelbares Ergebnis von kapitalistischer Ausbeutung und imperialistischer Kriegsführung, von der Produktion von failed states in Syrien, Libyen, Afghanistan oder Irak, von der Teile-und-Herrsche-Politik der kapitalistischen Monopole. Jene Menschen, die am intensivsten darunter leiden und vor diesem Elend fliehen, sind es aber, denen in der Festung Europa Verachtung entgegenschlägt, die an ihren Grenzen dem Tod ausgeliefert und ins Verderben abgeschoben werden. Das ist (auch) Terror.

Krokodilstränen der Herrschenden

Allen vermeintlichen Beteuerungen der europäischen Eliten zum Trotz, werden mit den autoritär-reaktionären Regimes in der Türkei, in Katar oder in Saudi-Arabien blendende Wirtschaftsbeziehungen geführt. Daran ändern die staatlichen Morde oder „Arbeitsunfälle“ nichts. Es geht um knallharte Kapitalinteressen, um Profitinteressen und um den Fortbestand eines menschenfeindlichen Systems. Alle von den vermeintlich Mächtigen vergossenen Krokodilstränen sind als das zu bezeichnen, was sie sind: nichts als Heuchelei! Fortschrittliche Bewegungen in diesen Regionen wurden und werden im besten Fall mit Argwohn betrachtet oder ausgeblendet, im schlechtesten Fall direkt oder indirekt bombardiert.

Zwei Seiten einer Medaille

FPÖ, Front National, Identitäre, PEGIDA und IS-Strukturen sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Sie verbindet bei einem genaueren Blick mehr, als sie trennt. Sie beantworten die soziale Frage autoritär und gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Die krisenbedingte Zuspitzung von sozialen Widersprüchen wirkt als Wasser auf ihren Mühlen. In ihren gesellschaftlichen Vorstellungen sollen die Menschen eine ganz bestimmte Rolle erfüllen: sei dies eine rassistische, religiöse, sexistische und/oder nationalistische. Es sind Weltbilder, die auf der Ungleichheit von Menschen beruhen. Sie geben einfache Antworten und Verschleiern die tatsächlich Verantwortlichen in Regierungen, Parlamentssitzen und Konzernvorständen, den gesellschaftsbestimmenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und das daraus produzierte Ausbeutungsverhältnis. Sie wirken somit systemstabilisierend.

Ernte der kapitalistischen Offensive

Die nun von den Eliten beschworene Front zur Verteidigung „europäischer Werte“ ist eine große mediale Show, die zur Legitimation weiterer Angriffe auf soziale und demokratische Rechte herangezogen werden wird. Denn wer Demokratieabbau, Rassismus, Krieg und Sozialabbau sät, erntet eben zweierlei Irrationales: FPÖ und Co. einerseits und Jihadismus andererseits.

Es ist unsere Aufgabe darauf mit entschlossener Gegenwehr zu antworten: auf allen Ebenen gegen Jihadismus, gegen Rassismus, gegen Kriegstreiberei, gegen Sozial- und Demokratieabbau. In tiefer und praktischer Solidarität mit allen Betroffenen. Im unvereinbaren Widerspruch zu elitären, rechten und/oder „religiösen“ Hetzern. Gemeinsam. Birlikte. Zajedno.

Von David Lang, KJÖ-Bundesvorsitzender